„Flatten the bankruptcy curve“: Wie wir die kommende Wirtschaftskrise meistern können

by Georg Hubmann

Bei allen notwendigen Maßnahmen zur Reduzierung der Ausbreitung des Corona Virus geht es darum die Kurve der Ansteckungen flach zu halten, um eine adäquate medizinische Versorgung für die erkrankten Menschen zu sichern und unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Das erreichen wir nur durch das Einschränken sozialer Kontakte, dem Schließen aller Geschäfte und dem Einstellen aller Dienstleistungen, die nicht unmittelbar notwendig sind. Von Georg Hubmann & Johannes Rendl. Zur PDF-Version.

Die Einschränkungen im sozialen Leben richten aber massiven Schaden im realen Wirtschaftsleben an. Der Wirt ums Eck, der Friseurladen, das Blumengeschäft oder der Malereibetrieb – so gut wie alle Unternehmen, Kunst- und Kulturschaffende oder Sportvereine erleiden einen mehrmonatigen Totalausfall ihrer Einkommen und damit ihrer Lebensgrundlage. Und das nicht, weil sie ökonomische Fehlentscheidungen getroffen haben, sondern aufgrund der notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.

Die Realwirtschaft steht still
Es geht um die Wirtschaftsstrukturen die normalerweise unser aller Leben verbinden. Wenn die Nachfrage plötzlich und in vielen Fällen komplett einbricht, dann sind diese Strukturen bedroht. Denn welches Kleinunternehmen hat soviel Geld auf der Seite, um mehrere Monate ohne Einkommen durchzustehen? Da hilft auch das Kurzarbeitsgeld nicht lange, Angestellte und MitarbeiterInnen werden ihre Jobs verlieren, wie die vielen Tausend Neuanmeldungen beim AMS in den letzten Tagen zeigen. Überbrückungskredite, Bankgarantien oder die Nachsicht bei den Insolvenzanmeldungen sind da nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weil damit der Einnahmenentfall nur verschoben und nicht ausgeglichen wird.

Man lädt den kleinen und mittleren Betrieben eine Last auf, die sie später abarbeiten werden müssen, sie bezahlen was ihnen jetzt durch die Pandemie verloren geht in den nächsten Monaten und Jahren. Das nimmt die Zuversicht und befördert Existenzangst und Unsicherheit. Die Basisstruktur unserer Wirtschaft ist bedroht, ein viel gröberer Einschnitt in die Realwirtschaft als noch bei der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 steht bevor.

Wer zahlt die Kosten des Herunterfahrens?
Jetzt müssen viele Beschäftigte im Rahmen der Kurzarbeit Urlaub und Zeitausgleich konsumieren. Damit tragen sie einen Teil der Kosten der Schließung in dem sie Ansprüche auf bezahlte, arbeitsfreie Zeit einsetzen, um die Unternehmen in der schwierigen Situation zu unterstützen. Dadurch geht Geld im Wirtschaftskreislauf verloren, weil die Konsumausgaben im Urlaub zu Hause niedriger sind und die Ausgaben, gerade in den nächsten Jahren der jetzt wohl nachhaltig beschädigten Tourismusbranche fehlen werden.

Bis 19. März meldeten sich 74.000 Personen beim Arbeitsmarktservice als beschäftigungslos. Mindestens 1,7 Millionen Menschen sind in den durch die Quarantänemaßnahmen betroffenen Branchen tätig und benötigen dringende Maßnahmenpakete zu ihrer Existenzsicherung. Der Staat muss handeln und neben der guten Lösung für die Kurzarbeit, auch die Ersatzrate für das Arbeitslosengeld auf das gleiche Niveau (80 – 90% je nach Einkommen) heben. Es gilt zu verhindern, dass in Zeiten einer Gesundheitskrise noch finanzielle Ängste hinzukommen. Das heißt aber zusätzlich, dass ein (zeitlich befristeter) Ausbau der sozialen Grundsicherung notwendig ist. Zum Beispiel durch: Konsumschecks, Anhebung der Ausgleichszulage oder Kulanzlösungen bei laufenden Beantragungsverfahren für Sozialleistungen, wie Wohnbeihilfe oder Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe.

Einnahmenverluste ersetzen: Regierung als „buyer of last ressort“
Wenn man in dieser Krise zu zaghaft reagiert, gehen wertvolle ökonomische und soziale Strukturen verloren. Also wäre es klug, wenn die Regierung direkt für den Einnahmenentfall der kleinen und mittleren Betriebe (bspw. auf Basis des durchschnittlichen Umsatzes des letzten Jahres) aufkommt. Damit können Beschäftigte angestellt bleiben, Ladenmieten weiterbezahlt und Verpflichtungen gegenüber Dritten bedient werden. Der Wirtschaftskreislauf wird an die Herz-Lungen Maschine angeschlossen und in ein künstliches Koma überführt, damit man nach der Krise das System wieder hochfahren kann, ohne viele funktionierende Strukturen zu verlieren.

Die Regierung hat das erkannt und setzt nun auf ein großes Hilfspaket im Umfang von 38 Mrd. Euro oder 10% der Wirtschaftsleistung. Mehr als die Hälfte davon sind Garantien, Haftungen und Steuerstundungen. Diese Maßnahmen verschieben Zahlungen auf einen späteren Zeitpunkt und erhöhen damit den Schuldenstand der Unternehmen. Auch wenn sie vorerst Pleiten verhindern, schränken sie die Investitionsmöglichkeiten der Unternehmen nach der Krise ein und werden es damit schwerer machen, einer lange andauernden Rezession zu entkommen.

Die im Regierungspaket vorgesehenen 15 Mrd. an Notfallhilfe für von den Schließungen betroffenen Unternehmen gleichen Umsatzverluste aus. Das klingt vernünftig, für die besonders betroffenen Klein- und Mittelunternehmen ist aber nur 1 Mrd. vorgesehen. Das wird zu wenig sein, wenn viele Geschäfte und Dienstleistungsunternehmen über 3 Monate geschlossen halten müssen. Denn bei etwa 400.000 Betroffenen macht das pro Betrieb gerade einmal 2.500 Euro aus. Ein Tropfen auf dem heißen Stein, mehr nicht.

Die Regierung hat mit der Änderung des Epidemiegesetzes diesen Schritt bewusst nicht gesetzt, sondern die Entschädigung von Ein-Personen-Unternehmen und Betrieben bis zu 25 MitarbeiterInnen ausgenommen. Dort hieß es in §32 Abs. 4 „Für selbständig erwerbstätige Personen und Unternehmungen ist die Entschädigung nach dem vergleichbaren wirtschaftlichen Einkommen zu bemessen.“ Die Forderung der Opposition nach einem Rechtsanspruch in der durchgesetzten Regelung wurde von der Regierung abgelehnt.

Dazu sieht das neue Gesetz vor, dass die Abwicklung der Härtefälle über die Wirtschaftskammer erfolgt, die Art und Weise ist noch ungeklärt. Damit diese Maßnahmen aber wirken könnnen, muss die Hilfe unkompliziert, rasch und bedingungslos passieren, so dass die ökonomischen Bedrohungen der Krise abgefedert werden und so Arbeitsplätze und Betrieb erhalten bleiben. Besser wäre es auf Basis von durchschnittlichen Umsatzzahlen die entgangenen Einnahmen über das Finanzamt direkt auf das Konto der UnternehmerInnen zu überweisen. Dadurch wird gewährleistet, dass in Folge der Krise keine Marktanteilen durch Großkonzerne abgesaugt werden und regionale Strukturen verloren gehen. Der Nachteil der kleinere Unternehmen wäre damit kompensiert, da diese im Gegensatz zu den großen Ketten eine Nachfragekrise diesen Ausmaßes nicht überstehen können.

Dass diese Maßnahmen notwendig sind zeigt ein Vergleich: In der Finanz- und Wirtschaftskrise haben die Zentralbanken durch Aktienkäufe („quantitative easing“) Banken, AnlegerInnen und den Kapitalfluss in der Wirtschaft gerettet, finanziert über hohe Staatsausgaben im Zuge der Bankenrettung. Jetzt müssen wir Nachfrage erzeugen, die durch das Herunterfahren der Gesellschaft wegbricht. Das gibt den Menschen die Sicherheit, dass sie nicht ihren Job verlieren, das gibt den UnternehmerInnen Existenzsicherheit und uns allen die Hoffnung, dass wir nach der Corona-Krise wieder die Dienstleistungen und Möglichkeiten zur Verfügung haben, die wir gewohnt waren.

Wie finanzieren wir die Maßnahmen?
Wenn man annimmt, die Corona Krise verursacht durch die Ausgangssperren und Geschäftsschließungen einen Rückgang des BIP von 40% über 3 Monate, entspricht das einem Minus von 10% des BIP über das ganze Jahr hinweg. Für Österreich sind das etwa 39 Milliarden Euro. Wieviel Geld hier wirklich benötigt wird, ist nicht klar, das wird von Dauer und Umfang der Quarantänemaßnahmen abhängen.

Wenn es darum geht, diese Ausgaben im Staatshaushalt zu refinanzieren, ist Solidarität gefragt: Es braucht eine gerechte Verteilung bei der Finanzierung des Staatshaushaltes. Beim Beitrag von Vermögen und Erbschaften zu den Staatseinnahmen liegt Österreich im OECD Vergleich an drittletzter Stelle und mit 1,3% weit unter dem OECD Schnitt von 5,7%. Selbst bei moderaten Tarifen bringen Vermögens- und Erbschaftssteuern zwischen 5 und 10 Milliarden im Jahr ein. In anderen historischen Ausnahmesituationen wurde ähnlich reagiert. Präsident Roosevelt hat zur Finanzierung des „New Deal“ nach dem Zweiten Weltkrieg den Spitzensteuersatz für die höchsten Einkommen in den USA auf über 90% gesetzt, erst mit dem Beginn der neoliberalen Reformen zu Beginn der 1980er Jahren fiel er unter 50%. Ebenso gilt es Maßnahmen gegen die Steuerflucht großer Konzerne zu setzen, ManagerInnengehälter zu beschränken und öffentliche Strukturen auszubauen. Unsere Gesellschaft muss in Zukunft in vielen Dimensionen stabiler werden, um Krisen wie diese auszuhalten, das geht nur, wenn wir für mehr Gerechtigkeit und Gleichheit sorgen.

„Flatten the curve“

Klar muss sein, dass wir in dieser Krise nicht unsere ökonomischen Grundstrukturen auf Spiel setzen dürfen, das verlängert die wirtschaftliche Krise unnötig und bringt viel persönliches Leid mit sich, indem es Existenzen gefährdet. Es muss jetzt gehandelt werden und gleichzeitig müssen wir die Frage stellen, wie wir die Kosten der Krise gerecht verteilen.

Eine Vielzahl von Insolvenzen zu vermeiden, heißt auch funktionierende Strukturen zu erhalten. Nur so kann die parallel zur gesundheitlichen Krise wachsende ökonomische Krise abgefedert werden. Auch hier gilt: „Flatten the curve“ – verringern wir den Einbruch der Realwirtschaft.

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